Datum:
05.07.2002
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Zeitung:
tageszeitung
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Titel:
Das überraschende Geständnis der Zeugin W.
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Das überraschende Geständnis der Zeugin W.
Im Berliner RZ-Prozess bekennt sich eine 63-jährige Rentnerin
zu den Knieschüssen auf den Leiter der Berliner Ausländerpolizei
im Jahr 1986
"Ich habe die zwei Schüsse auf die Beine von Herrn Hollenberg
abgegeben. Neben mir stand Rudolf Schindler, der die Aktion mit
seiner Pistole abgesichert hat." Mit dieser sensationellen
Aussage erschütterte gestern im Berliner Verfahren gegen die
Revolutionären Zellen (RZ) die 63-jährige frühere
Berliner Sozialarbeiterin und jetzige Rentnerin Barbara W. die Beschuldigungen
des Kronzeugen Tarek Mousli.
Mousli hatte erklärt, die Schützin beim Knieschuss-Attentat
am 28. Oktober 1986 auf den damaligen Leiter der Berliner Ausländerbehörde
Harald Hollenberg sei die deshalb angeklagte Sabine Eckle gewesen.
Im Wesentlichen bestätigte Frau W. mit ihrer Aussage auch die
Einlassung von Rudolf Schindler, der sich im Januar 2002 zu seiner
Mitgliedschaft in den RZ und den Knieschüssen auf den Asylrichter
Günter Korbmacher bekannt hatte. Damit stehen zwei Aussagen
gegen die Ausagen des Kronzeugen.
Seit Mai 2001 wird vor dem Berliner Kammergericht gegen fünf
Angeklagte wegen Mitgliedschaft in den RZ verhandelt. Neben den
Knieschuss-Attentaten werden ihnen auch mehrere Sprengstoffanschläge
vorgeworfen. Die Anklage beruht fast ausschließlich auf den
Aussagen des ehemaligen RZ-Mitglieds Tarek Mousli. Dieser hatte
sich - selbst schwer belastet - Ende 1999 der Bundesanwaltschaft
als Kronzeuge angeboten.
Die vom Anwalt des 59-jährigen Schindler, Hans-Wolfgang Euler,
als Zeugin geladene Barbara W. sagte zu Beginn, dass sie sich sehr
schwer getan habe, diese Aussage zu machen. "Aber ich kann
es nicht ertragen, dass jemand anderes für eine Tat beschuldigt
wird, die ich getan und zu verantworten habe." Ihre Aussage
begrenzte sie aber ausdrücklich auf den Komplex Hollenberg.
Zu über die konkreten Ereignisse der Tat hinausreichenden Sachverhalten
machte sie von ihrem Recht auf Zeugnisverweigerung Gebrauch. So
beantwortete sie auch Fragen der Vorsitzenden Richterin Gisela Hennig
nicht, ob sie zum damaligen Zeitpunkt Mitglied in den RZ gewesen
sei. Juristisch sind die Knieschüsse als Körperverletzung
schon seit 1996 verjährt, selbst eine eventuelle Mitgliedschaft
in den RZ ist normalerweise nach zehn Jahren verjährt.
Ausführlich schilderte Barbara W., die in Berlin in diversen
Jugend- und Frauenprojekten gearbeitet hatte, den Ablauf des Attentats
im Berliner Stadtteil Zehlendorf: von den Schießübungen
in leeren Bunkern in der französischen Normandie, dem Auskundschaften
der Gewohnheiten Hollenbergs bis hin zum Kauf einer Echthaarperücke.
Am Morgen der Tat habe sie sich am S-Bahnhof Zehlendorf mit Schindler
getroffen. Von einem Unbekannten, zu dem sie nichts sagen wolle,
wurden sie bis in die Nähe des Tatorts gefahren. Nachdem sie
zuvor von Schindler die Pistole erhalten habe, "warteten wir
gemeinsam ab, bis Hollenberg aus dem Haus kam". Nach den Schüssen
seien sie zum Fluchtwagen gerannt und hätten sich am S-Bahnhof
Zehlendorf getrennt absetzen lassen. "Danach bin ich, wie jeden
Morgen, ins Schwimmbad am Sachsendamm gefahren." Noch am Nachmittag
trafen sie sich erneut in einer Wohnung in der Kreuzberger Oranienstraße
mit Tarek Mousli, der parallel den Polizeifunk abgehört habe.
"Mousli hat mich in den Arm genommen und zur Tat beglückwünscht."
Deutlich betonte sie auch, dass "ich schießen wollte,
weil in der Regel Frauen nicht so viel zugetraut wird, und ich wusste,
dass ich das kann". Hollenberg machte sie als Leiter der Ausländerpolizei
"für die unmenschliche Flüchtlingspolitik in Berlin"
verantwortlich.
An ihre Aussage schloss sich eine akribische Befragung durch das
Gericht und die Bundesanwaltschaft nach kriminalistischen Details
an.
Zur Frage der Glaubwürdigkeit der Zeugin meinte Anwalt Euler:
"Warum sollte sich jemand freiwillig zu einer solchen Tat bekennen
und in Gefahr begeben, doch noch verhaftet zu werden?" Gegen
die Zeugin läuft, wie im Gerichtssaal bekannt wurde, seit Januar
2001 ein Ermittlungsverfahren wegen Mitgliedschaft in der Frauenorganisation
der RZ, der "Roten Zora". Doch eine Frage des beisitzenden
Richters Hanschke danach verneinte sie explizit. Der Vertreter der
Bundesanwaltschaft, Michael Bruns, wollte ebenso wie die anderen
Verteidiger die Aussagen erst nach Ende der Zeugenaussage kommentieren.
Bei Redaktionsschluss dauerte die Befragung von Barbara W. noch
an.
Christoph Villinger
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